13. August 2024, Tag 26
Anjas frischgrüne Sommertour
Ein Tag des Staunens und ein Tag der verpassten Bürgermeister – so ließe sich der 13. August, Tag 26 meiner frischgrünen Sommertour, wohl am ehesten zusammenfassen. In Burgauberg fährt ein Golf-Cart an uns vorbei und plötzlich heißt es „Ah, das war jetzt der Bürgermeister!“ Und im Gasthaus von Strem erzähle ich der Wirtin, dass wir den Bürgermeistertermin am Freitag leider absagen mussten, worauf die Wirtin entgegnet „Da Birgamasta is jo eh vorher herinn’ gsessn!“ Und auch im Kaufhaus Hannersdorf haben wir den Bürgermeister nur knapp verpasst. Drei verpasste Bürgermeister an einem Tag!
Station 1: Hannersberg
Der Hannersberg ist eine Event-Location für Hochzeiten. Das Gebäude gibt’s seit den 50er Jahren, es war früher eine Ferienschule für Wiener Kinder, die Nachhilfe gebraucht haben. Seit 2011 werden hier Hochzeiten veranstaltet. Der Hannersberg beschäftigt 60 Mitarbeiter*innen, davon 30 ganzjährig. Eine Dimension, die ich mir so ehrlicherweise nicht erwartet hätte. Vor allem im Wiener Raum erfreut sich der Hannersberg großer Popularität.
Mir gefällt, dass Geschäftsführerin Anna Malinovic so progressiv ist. Ein zeitgemäßes Frauenbild ist dem Hannersberg sehr wichtig. Männer, die aus Prinzip nicht bügeln, finden hier so leicht keine Anstellung. Nacht- und schwierige Dienste werden extra prämiert. Mit dem Ort Hannersdorf ist man gut verbunden, was vor allem am Nahversorger liegt, den vom Hannersberg zusätzlich betrieben wird, was allerdings nur über Zuschüsse funktioniert, weil es mindestens 500 Einwohner*innen bräuchte, um einen Nahversorger rein über den Konsum zu finanzieren. Aber die Hannersdorfer*innen sind sehr gern beinand’, wie wir erfahren. Im Schnitt 50 Mal im Jahr kommen sie einkaufen oder auf einen Kaffee vorbei.
Man ist bemüht, gute Angebote zu schaffen, z. B. ein Ferienprogramm für die Kinder der Mitarbeiter*innen. Man macht sich eben Gedanken, wie sich die Qualität der Arbeitsplätze erhöhen lässt. Am Hannersberg herrscht tatsächlich wenig Fluktuation, obwohl die Jobs auch anstrengend sein können, mit Hochzeitsfeiern, die bis in die frühen Morgenstunden dauern. Dafür muss man heutzutage erst einmal das richtige Personal finden.
Wirklich sehr taugt mir auch das Saunafass bei den kleinen Bungalows. Schon alleine deshalb würde ich hierherkommen und Urlaub machen. 🙂
Station 2: Kaufhaus Hannersdorf
Auch der Dorfladen und das Café im Ort werden von den Hannersberg-Leuten betrieben. Das ist überaus wichtig für den Ort, dass es hier einen Treffpunkt gibt und einen Nahversorger. Der Gedanke, an die Menschen etwas zurückgeben zu wollen, spielt hier auch eine große Rolle. Es gibt irrsinnig nette Aktionen zur Kundenbindung. An der Kasse liegt ein Transparent auf und eine Karte, wo alle Vornamen aller 200 Hannersdorfer*innen draufstehen, alphabetisch geordnet. Es wird erfasst, wie oft jede*r Hannersdorfer*in im Jahr einkaufen kommt, um auf die nötigen 50 Mal zu kommen. Man fühlt sich hier zuständig. Kommt niemand einkaufen, gibt es auch keinen Nahversorger mehr.
Station 3: Europäisches Zentrum für erneuerbare Energie Güssing (EEE)
„In Güssing spielt sich’s ab, wenn’s um alternative Energie geht“, so mein vorherrschender Gedanke beim Besuch des EEE. Geschäftsführer Joachim Hacker und Katalin Bödi begrüßen uns und erzählen von der Geschichte des Unternehmens. Bereits in den 90er Jahren war das EEE ein Pionierprojekt in Sachen erneuerbare Energie, damals mit dem größten Hackschnitzelheizwerk Österreichs. Ursprünglich als Verein gegründet, der sich gegen die Abwanderung von Güssinger*innen eingesetzt hat. Der Gedanke: In Energie steckt Geld, Energie schafft Jobs, da kann man doch bestimmt etwas machen. Mittlerweile wird das EEE als GmbH geführt und vom ökoEnergieland-Verein unterstützt.
Es gab auch ein Biomassekraftwerk in Güssing, das nach der Eröffnung 20.000 Besucher pro Jahr hatte, teilweise auch aus China. Sogar Arnold Schwarzenegger ist nach Güssing gekommen und hat behauptet, die ganze Welt müsse Güssing werden. Irgenwann sind dann die Fördergelder gekappt worden und das Kraftwerk eingestellt. Übrig geblieben vom einstigen Vorzeigeprojekt ist nur eine Bauruine. Da fehlen mir echt die Worte …
Heute agiert das EEE als Dachorganisation für alle energierelevanten Aktivitäten in der Region Güssing und entwickelt nachhaltige, regionale und kommunale Konzepte zur Energieeinsparung sowie zur Nutzung und Erzeugung von erneuerbarer Energie.
Station 4: Streuobstwiesen Burgauberg
Von der ehemaligen Energiehauptstadt Europas geht’s weiter zu den Streuobstwiesen nach Burgauberg und zu Gitti Gerger. Wir bekommen eine Führung durchs neue Gemeindezentrum, einem sehr schönen Holzbau mit Co-Working-Space, wo der Verein Wieseninitiative zwei Tische bezogen hat und wo man sich immer wieder trifft. Gegenüber vom Gemeindezentrum ist gerade ein Standort für den Verein im Entstehen. Das Ziel des Vereins: Den großen Bestand an Streuobstwiesen in der Region zu unterstützen und das Bewusstsein für die unterschiedlichen Aromen und Geschmäcker zu fördern. Der Verein zählt an die 1.300 Mitglieder und besteht seit 30 Jahren, seit 2014 mit eigener Vereins-Landwirtschaft. Und auch hier muss ich staunen: Unglaublich, was der Verein Wieseninitiative alles bewegt! Was so wenige Menschen mit so großem Engagement alles auf die Beine stellen …
Amüsiert beobachte ich, wie Praktikant Leon total in Streuobstwiesenpflanzensamen reinkippt und sich freut wie ein Schneekönig.
Interessant ist die neu angeschaffte, 3,5 t schwere mobile Saftpresse, die am Freitag das erste Mal in Betrieb genommen wird. Der Plan ist, damit durchs Burgenland zu fahren. Ab einer Menge von 50 kg Obst kann man sich damit seinen Saft pressen lassen.
Anschließend geht’s noch auf den Hof von Gitti Gerger, wo eine Schnaps- und Saftverkostung auf uns wartet und ein sehr guter Zwetschken-Streuselkuchen serviert wird. Und schon wieder muss ich staunen!
Station 5: Gasthaus Legath (Strem)
Am Ende des Tages herrscht etwas Verwirrung: Welcher Legath ist nun der Richtige? Scheinbar gibt es zwei davon. Im wunderbaren Wirtshaus finden sich schließlich alle ein und es ist ein supernetter Ausklang. Die Mutter einer meiner ältesten und besten Freundinnen ist zufällig auch anwesend. „Jo Gabi, wos tuastn du do“, entfährt es mir voller Freude. „I hob scho gheat, dass du heit kummst“, klärt Gabi mich auf, die mit Freund*innen in der Gegend radeln war und deshalb spontan vorbeigeschaut hat. Es ergeben sich nette Gespräche und auch die Wirtin Frau Legath stellt sich dazu. Wir plaudern über Alexander Van der Bellen, die Unterschiede zwischen Nord- und Südburgenland und das Phänomen, wie Leute, die sich lange nicht mehr gesehen haben, im Südburgenland aufeinandertreffen. Es herrscht ein wunderbar offenes Gesprächsklima in einem wirklich gemütlichen Dorfwirtshaus, wo sich wieder einmal zeigt, wie wichtig und unverzichtbar diese Institution für ein harmonisches Miteinander ist.
Nicht schlecht, so ein Tag des (durchwegs positiven) Staunens! Aber auch das ist eine Konstante meiner frischgrünen Sommertour, dass ich immer wieder überrascht werde vom Engagement und dem Ideenreichtum der Menschen. Und ich gebe es gern zu: Da staune ich mit Freude!