Tag 24: Nie wieder

08. August 2024, Tag 24
Anjas frischgrüne Sommertour

Heute bin ich erneut im Bezirk Oberwart unterwegs. Weil es uns so gut gefällt, beschließen wir spontan, die Heimreise nicht anzutreten und im Südlichen zu übernachten. Unser Land ist zwar nicht das größte, aber nach einem erfüllten Tag bin ich auch mal froh, wenn ich mir die Rückfahrt spare. So kann ich alles schön nachwirken und im Team den Tag nochmal Revue passieren lassen.

Station 1: Hango Roma Oberwart

Martin Horvath, der Gründer-Obmann von Hango Roma, heißt uns in Oberwart willkommen. Martin ist Roma-Aktivist und kandidierte 2015 bei den Landtagswahlen im Burgenland. Hango Roma versteht sich als gemeinnützige Organisation, die sich für den Erhalt der Roma-Kultur einsetzt und die Öffentlichkeit über Ungerechtigkeiten aufklärt, die den Roma in der Vergangenheit widerfahren sind.

Martin teilt sich sein Büro mit Roma Service und Radio Mora, hier gibt es enge Verbindungen. Von der Roma-Community berichtet Martin, dass die Sprache der Roma, das Romanes, leider im Aussterben begriffen ist, zumindest unter den Burgenland-Roma. Montags und mittwochs werden daher unverbindlich Sprachübungen angeboten, an die 15 Leute würden sich jedesmal hierzu einfinden. Ein großes Thema ist natürlich die Geschichte der Diskriminierung der Roma, die in den 70er und 80ern und teilweise sogar bis in die 90er in Sonderschulen gesteckt wurden. Martin Horvath berichtet, wie er selbst mit Migrantenkindern immer in der letzten Reihe sitzen musste und die Wahl zum Schulsprecher nicht annehmen durfte, weil sich ein Lehrer dagegen ausgesprochen hatte.

Nach dem Attentat in Oberwart 1995 habe sich die Aufmerksamkeit rund um die Diskriminierung etwas verbessert, obwohl die Roma schon 1993 als Volksgruppe anerkannt wurden. Bei Hango Roma wird fast ausschließlich ehrenamtlich gearbeitet. Verbindungsstiftend zwischen den einzelnen Bevölkerungsschichten wirkte der Fußballverein 1. AS Roma, der im Juli 1990 sein erstes Spiel in Oberwart bestritt. Bei einem Turnier sind sie einmal für Italiener gehalten worden, erzählt Martin schmunzelnd, aufgrund des gleichnamigen italienischen Vereins (AS Roma). Seitens der Spieler wurde damals betont, dass sie im Fußball nie Diskriminierungen erleben mussten. Das letzte Match des 1. AS Roma fand an einem kühlen Samstagabend im Jahr 2000 statt.

Auch die folkloristische Musik und Veranstaltungen wie der Romaball seien wichtig und gemeinschaftsstiftend. Hango Roma setzt sich zudem für die Errichtung von Gedenktafeln ein, die an die Roma erinnern, die vor dem Zweiten Weltkrieg im Burgenland lebten und während des Krieges ermordet wurden.

Selbst habe ich den Romaball heuer im Jänner besucht. Wir haben getanzt und gesungen, und ich muss sagen, auf so einem Ball war ich noch nie. Alles bunt und lebendig und schön zu beobachten, wie die unterschiedlichen Volksgruppen miteinander feiern – nämlich g’scheit! Mein Interesse für die Kultur der Roma war jedenfalls geweckt, ein Grund dafür, warum wir heute bei Martin vorbeischauen.

Anschließend besuchen wir noch gemeinsam das Roma-Denkmal in Oberwart, das den Opfern der Anschläge des 5. Februar 1995 gewidmet ist.

Station 2: Bierarium (Oberwart)

Das Bierarium ist eine eindrucksvolle Sammlung von Dosen und Merchandise aus der bunten Welt des Bieres. Sage und schreibe 11.000 Dosen aus über 161 Ländern hat Kurt Balazs im Keller seines Hauses gesammelt und ausgestellt. Man könnte sich hier leicht verlaufen, zwischen Bierartikeln aus der ganzen Welt und aus allen möglichen Jahrzehnten. Kurt Balazs ist gut vernetzt in der Biercommunity, steht in Austausch mit Vereinen u. a. aus Afrika und Amerika. Immer wieder bringen auch Freunde und Verwandte Schätze aus dem Urlaub mit, was bedeutet, dass die Sammlung ständig wächst. Teilweise sorgt Kurz Balazs auch selbst für Nachschub, wenn er diverse Brauereien direkt anschreibt.

Station 3: LiLa’s bistro | espresso | bar (Oberwart)

Zu Mittag speisen wir wunderbare Bowls, z. B. eine scharf-bunte Curry-Bowl. Mit Livia und ihrem Partner, den Inhabern, lässt sich’s nett plaudern. Auch mit unserer Sitznachbarin ergibt sich ein Gespräch, die einen entzückenden Hund dabeihat, der frisch vom Frisör kommt und deshalb plüschweich ist, wie ich an meinen Füßen angenehm spüre. Ich stelle fest: Mit den Menschen im Südburgenland kommt man schnell ins Reden – afoch gmiatliche Leit!

Station 4: Kreuzstadl Rechnitz

Die Mitglieder von RE.F.U.G.I.U.S. (Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative und Stiftung) geben uns eine Führung und erläutern die Geschichte des Kreuzstadls in Rechnitz. Der wegen seines kreuzförmigen Grundrisses so genannte Kreuzstadl des ehemaligen Meierhofes des Gutes Bátthyány ist heute nur mehr als Ruine erhalten und Symbol für eines der grausamsten Verbrechen während der NS-Zeit und für die Verdrängung nach Kriegsende.

Das Mahnmal erinnert nicht nur an die in der Nähe des Kreuzstadls ermordeten ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter, sondern steht auch stellvertretend für eine überregionale Gedenkkultur. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in vielen größeren und kleineren Orten entlang der Grenze, teils auch auf ungarischem Gebiet, Menschen bei Schanzarbeiten für den Südostwall oder auf den so genannten Todesmärschen ermordet worden sind.

Die Energie dieses Ortes erfasst mich recht schnell. Die Menschen von RE.F.U.G.I.U.S. setzen sich bereits seit Jahrzehnten für die Aufklärung der Geschehnisse rund um den Kreuzstadl ein, was ich großartig finde. Es ist heute vielleicht wichtiger denn je, dass es Menschen gibt, die gegen rechtes Gedankengut aufstehen und sich engagieren. Zu einem „nie wieder“ gehört eben auch ein sich erinnern und immer wieder erinnern.

Station 4: RONY’s Buschenschank (Eisenberg)

RONY’s Buschenschank ist eine auf den ersten Blick unscheinbare Terrasse am Eisenberg, mit sehr gutem Essen und Trinken. Die Aussicht ist herrlich, leider regnet es aber und so sitzen wir hinter einer transparenten Plane, was der Gemütlichkeit keinen Abbruch tut. Wir unterhalten uns über Themen wie Naturschutz, die Güssinger Fischteiche, regionale Vogelarten und das Wiederaufkommen des Rotmilans, PV-Anlagen und Forstwirschaft.

Die Eindrücke des heutigen Tages zeigen: Nur gemeinsam können wir verhindern, dass Fehler aus der Vergangenheit sich wiederholen. Menschen wie Martin Horvath und das Team von RE.F.U.G.I.U.S. leisten hier tagtäglich wertvolle Arbeit. Schön, dass es diese Menschen gibt.