Tag 23: Großes im Kleinen finden

07. August 2024, Tag 23

Anjas frischgrüne Sommertour

Heute sind wir wieder im Südlichen unterwegs, im Bezirk Oberwart. Ich mag das Südburgenland ja sehr gern, ich kann mich hier richtig gut entspannen und ein bisserl weht schon was vom Mittelmeer zu uns herauf, bilde ich mir zumindest ein. Wie dem auch sei: Mal schauen, was der Süden so alles bereithält für mich!

Station 1: Wochenmarkt Oberwart

Am Wochenmarkt in Oberwart bewundern wir das klassische Klimbim eines Marktes: Töpfe von Riess, Fünferpackungen Sportsocken, Hüte und bunte Kleider. Praktikant Leon ist etwas überrascht, das hat er sich ganz anders vorgestellt (wie, verrät er mir nicht). Den größten Andrang gibt’s beim Leberkäse und den Würschteln, Marktzeit ist eben immer auch Mahlzeit. Und weil wir schon da sind, schauen wir uns gleich den neugestalteten Stadtpark in Oberwart an, mit den schönen Hochbeeten. Der Park ist wunderbar belebt. Bei einem Kaffee werde ich auf den ORF-Beitrag zur Sommertour in Bernstein angesprochen, woraus sich dann ein sehr nettes Gespräch ergibt.

Station 2: pro mente Kohfidisch

In Kohfidisch werden wir von der Geschäftsführerin von pro mente Burgenland, Eva Blagusz, begrüßt, und von Claudia Taschler, die das Tageszentrum in Kohfidisch leitet. Bei pro mente in Kohfidisch habe ich vor vielen, vielen Jahren einmal Kochkurse gegeben und meinen damaligen Klient*innen gesundes Kochen nähergebracht. Als es zeitlich nur mehr schwer unterzubringen war, hat eine Kollegin übernommen, mit der ich auch schon zwei Kochbücher gemeinsam geschrieben habe, Ulli Zika. Zu meiner großen Überraschung ist die Ulli heute auch anwesend, und – wie sollte es anders sein – es wird gerade für ein Kochbuch fotografiert. Wir haben uns länger nicht gesehen, dementsprechend groß ist das Hallo!

Wir schwelgen sofort in Erinnerungen: Ein Klient, der damals mit mir gekocht hat, ist heute noch im Haus und die Eva Blagusz erinnert sich, wie er damals bei der Linsensuppe gesagt hat „ur grauslich, schmeckt mir gar nicht“, während er meine Rote-Rüben-Laibchen kurzerhand zum Schnitzi erklärt hat und so ein Schnitzi schmeckt natürlich.

Erfreulich sind die kleine Erfolgsgeschichten: Ein ehemaliger Klient durchläuft gerade die Lehre zum Betriebsdienstleister, eine Art Hausmeister für die Kellerstöckl, die pro mente auch betreibt, kleine Ferienhäuschen in Kohfidisch. Ein weiterer Klient macht die Lehre zum Koch. Das Problem: Sobald man eine Lehre beginnt, verliert man den Anspruch auf Invalidenpension und es ist nicht einfach, diese wiederzubekommen.

Im Haus herrscht eine angenehm ruhige Atmosphäre, es ist schön und hell. Obwohl Menschen mit psychischen Erkrankungen hier unterkommen, ist es überaus friedlich und anders, als man es erwarten würde. Erst gestern habe ich in meinem Reisebericht über Vorurteile geschrieben und wie lohnend es ist, solche zu widerlegen. Man merkt, wie gut das Haus geführt ist. Im Haus integriert sind eine Poststelle sowie ein Hausladen, wo von Klient*innen hergestellte Produkte – Postkarten, Marmeladen, Schmuck etc.  – verkauft werden. Die Absicht: Einen Austausch zwischen der lokalen Bevölkerung und den Klient*innen herzustellen, was recht gut funktioniert. Ich jedenfalls habe im Shop auch gleich eingekauft, wunderbare Geschenke für eine Geburtstagsfeier, zu der ich eingeladen bin.

Eine schöne Geschichte noch am Rande: Ein Klient und eine Klientin, ihre Namen lasse ich absichtlich weg, haben sich ineinander verliebt und im Haus Kohfidisch Hochzeit gefeiert. Alles war schön dekoriert, alle haben mitgeholfen und eine Konditorin hat eine herrliche Torte gebacken. Eine wunderbare Erfahrung und wieder so eine kleine Erfolgsgeschichte.

Station 3: Schloss Kohfidisch

Wir besichtigen das Anwesen von Schloss Kohfidisch, dessen Wurzeln bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Wie schon Schloss Deutschkreuz, wurde auch Schloss Kohfidisch nach dem Krieg von russischen Besatzungssoldaten geplündert. Die kosten- und zeitintensive Instandsetzung dauert bis zum heutigen Tag an. Der Alltag in einem Schloss kann sich mitunter „aufregend“ gestalten, immer wieder verirren sich Privatpersonen in den Garten oder gar ins Wohnzimmer, wodurch sich natürlich kleine Spannungsfelder ergeben. Schlossherrin Sarah Keil ist es jedenfalls ein Anliegen, das Südburgenland populärer zu machen. Im Herbst findet alljährlich das „Kramuri“ im Schloss Kohfidisch statt, ein Brauchtums- und Handwerksmarkt, und im Frühjahr die Gartentage, wo immer recht ein Andrang herrscht. Alle zwei Jahre gibt es auch ein Hippiefest mit Flower Power.

Wir krachen noch bei der Künstlerin Agostina Suazo rein, die im Schloss ihr Atelier hat und hier auch wohnt. Die Künstlerin hat in Chile und Mexiko Malerei studiert und lebt seit nunmehr 14 Jahren in Österreich, wohin es sie der Liebe wegen verschlagen hat. Ich verliebe mich gleich in ihre bunten Bilder von starken Frauen!

Was mir auf der Tour immer wieder begegnet: Die Frage, wie sich Erfolge definieren lassen. Dort, wo Menschen für das Wohlbefinden ihrer Mitmenschen arbeiten, sei es im Caritas-Haus Sarah in Neudörfl oder bei pro mente in Kohfidisch, sind es die vermeintlich „kleinen“ Erfolge, die gerne genannt werden, die aber oftmals große Erfolgserlebnisse für alle Beteiligten mit sich bringen. Großes im Kleinen zu finden, ist einfach wunderbar!