27. Juli 2024
Anjas frischgrüne Sommertour, Tag 20
Das Burgenland ist nicht gerade riesig, wenn es um die Größe geht. Wie klein es aber tatsächlich ist, erschließt sich mir am heutigen Tag im Seewinkel. Im Nationalpark Neusiedler See unterhalte ich mich angeregt mit einem Ranger, über Themen wie Wasser, Naturschutz und den See. Plötzlich fragt er: „Weißt du nicht mehr, dass ich 2011 mit meiner Frau und unserem ersten Kind bei dir in der Küche gesessen bin?“ Ups! Was lernen wir daraus? Anja hat ein schlechtes Personengedächtnis. Und die Welt im Burgenland ist klein.
Station 1: Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel
Bei der von der FREDA (grüne Zukunftsakademie) organisierten Veranstaltung treffen wir uns mit vielen Interessierten beim Nationalparkzentrum Illmitz. Harald Schau, der Ranger, der schon mal bei mir in der Küche war, führt uns hinein in die Puszta und wir erfahren gleich zu Beginn von einem True-Crime-Fall: In der Mitte des letzten Jahrhunderts hat es auf der Seewinkel-Hutweide eine Transgender-Weidehüterin gegeben, die unter nicht bekannten Umständen ermordet wurde.
Schon bald erschließt sich aber die ganze Schönheit dieses Landstrichs: Durch Feldstecher beobachten wir Vögel und blicken in tiefe Brunnen. Und ja, wir wären nicht die Grünen, würden wir nicht auch mit bloßen Händen ein paar Kuhfladen untersuchen. Wir sprechen über die Folgen intensiver Landwirtschaft und ausufernder Bodenversiegelung samt Unterkellerung mit absichtlicher Grundwassersenkung. Wir unterhalten uns auch über das geplante Krankenhaus auf den Golser Wiesäckern am Rande des Naturschutzgebiets und das geplante Wasserelektrolysewerk in Zurndorf, und darüber, wie das einstmalige Vogelkorridor-Vorzeigeprojekt durch eine falsch getroffene Standortwahl bedroht wird. Man fragt sich, welche Interessen da warum dahinter stehen.
Bei allen Terminen heute geht es ums Wasser. Fast jedes Gespräch dreht sich um das Grundwasser im Seewinkel, zukünftige Nutzungskonflikte, die Austrocknung der Lacken und das konsequente Ignorieren möglicher Lösungsansätze in der Vergangenheit. Denn Lösungsvorschläge hätte es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder welche gegeben, nur getan wurde nichts – oder erst viel zu spät.
Station 2: „Altes Brauhaus“ in Frauenkirchen
In einem alten, fast schon mittelalterlich wirkenden Brauhaus in Frauenkirchen nehmen wir unser Mittagessen ein. Es freut mich zu sehen, dass ein gutbürgerliches Wirtshaus an einem Samstag immer noch voll sein kann. In angenehmer Atmosphäre und verwöhnt durch guten Service genieße ich hausgemachte Bandnudeln mit Eierschwammerln.
Station 3: Manufaba (Frauenkirchen)
Weiter geht’s zu Manufaba und Ulla Wittmann und Ludwig Birschitzky. Er Bio-Soja-Bauer, sie Tofu-Meisterin. Ulla ist eigentlich studierte Landschaftsplanerin und ehemalige Umweltberaterin und Klimaschutzexpertin. Mit ihrer Liebe zu Ludwig hat sie auch die Liebe zur Sojabohne entdeckt und gemeinsam haben sie begonnen, daraus Tofu zu machen. Gut, es war auch ein kleiner Schubser von Ludwigs Bruder nötig, um auf diese großartige Idee zu kommen.
Ludwig erzeugt auf 400 ha zu einem großen Teil Sojabohnen für den Einsatz als Saatgut, aber auch für die Lebensmittelproduktion. Einen kleinen Teil der Ernte bekommt Ulla, die das Soja unter dem Markennamen MANUFABA zu Tofu und Tempeh weiterverarbeitet. 2015 schafft sie den Durchbruch. Da steht sie auf dem Markt der Erde in Parndorf und plötzlich wollen alle ihren Tofu. Rasch fällt die Entscheidung: Ausbau und Produktion im großen Stil. Aber „Tofu ist eine Diva“ sagt Ulla, mal will es, mal will es nicht. Und so sucht sie sich kurzerhand einen Tofu-Meister. Und wo findet man einen solchen? In Ullas Fall auf den Azoren. Dort verbringt der deutsche Tofu-Pionier aus Kassel, der ursprünglich aus Ungarn stammt, nämlich seine Pension. Der pensionierte deutsch-ungarische Tofu-Meister zeigt ihr alle möglichen Tricks und Kniffe und bestellt mit ihr gemeinsam Maschinen aus Taiwan. Doch er warnt: „Tofu-Machen ist Männerarbeit“, weil anstrengend und kraftaufwendig. Es sollte das einzige Mal sein, wo Ulla dem Tofu-Meister kein Gehör schenkt.
Ulla zeigt uns durch ein Fenster ihre für die nächste Tofuproduktion schon desinfizierte Küche und erzählt, wie Soja zu Tofu wird. In der Küche hängt ein Bild von Captain Picard, Counselor Troi, Lieutenant Worf, Captain Kirk und Mr. Spock, von der originalen Enterprise und von der Enterprise D. Ulla ist ein Trekkie. Und Klubdirektor Gerhard jetzt noch größerer Fan von Ulla.
Jetzt muss ich ein Geständnis ablegen: Ich bin irrsinnig heikel, wenn es um vegetarische Küche außer Haus geht. In aller Bescheidenheit halte ich mich für durchaus versiert auf diesem Gebiet und zuhause schmeckt’s halt immer noch am besten. Als ich jedoch Ullas Linseneintopf und das Gemüsecurry mit Tofu verkoste, bin ich begeistert. Alles fein abgeschmeckt mit einer überaus harmonischen Gewürzauswahl. Schnell lande ich mit Ulla beim Thema Ayurveda. Ich selbst habe jahrelang Kochkurse abgehalten. Auch Ulla hat in einer Erschöpfungsphase Ayurveda für sich entdeckt und gelernt, das alte „Wissen vom Leben“ anzuwenden. Es schließt sich auch hier wieder ein kleiner Kreis.
Station 4: Weingut Michael Opitz (Apetlon)
Ok, Zeit für ein bisserl Gossip: Den Vater von Michael Opitz, der ja Winzer in Apetlon ist, habe ich auf einer Kur kennengelernt, das war ein sehr nettes Ereignis in Oberösterreich, denn: Wie ich damals gehört habe, soll „der Sohn“, also der Michael Opitz, wo ich aber damals noch gar nicht gewusst habe, dass es der Michael Opitz ist, in Mattersburg zur Schule gegangen sein, wo ich natürlich sofort spitze Ohren gekriegt habe. Es soll der Sohn, der Michael Opitz, nämlich im Priesterseminar im Gymnasium Mattersburg gewesen sein, ein Klasse unter mir. Jetzt, wo ich das so herschreibe, ist das eigentlich gar nicht so sensationell, aber auf einer Kur freut man sich halt die Haxen aus bei so etwas. Jedenfalls: Aufgrund dieser freudigen Überschneidung haben wir damals ausgemacht, dass ich im Rahmen meiner Sommertour in Apetlon vorbeischneie. Das war aber noch nicht alles, es gibt noch mehr Parallelen: Die Oma vom Sohn, also vom Michael Opitz, also die Mutter vom Vater, der mit mir auf Kur in Oberösterreich war, war einmal in Eisenstadt im Spital und hat dort eine Mattersburgerin kennengelernt, die auch Haider geheißen hat und wo sich natürlich die Frage gestellt hat, ist das eine Verwandtschaft. Wie sich dann herausgestellt hat, war das aber die Haider Rosa, also die Mutter vom Haider Toni, bei der ich tagtäglich am Schulweg vorbeigegangen bin und die – als klassische Jaloux-Hex‘ – einem Pläuschchen nicht abgeneigt war. Und schon wieder schließt sich ein Kreis.
Jetzt aber zur eigentlichen Geschichte. In Apetlon besuchen wir besagten Michael Opitz auf ein Glaserl Wein. Die ersten 45 Minuten geht es weniger um den Wein, als viel mehr um ehemalige Schulkolleg*innen, alte Teenagerlieben und „was macht denn die/der XY heute?“ No na! Dann finden wir doch noch zu ernsteren Themen. Während im Hintergrund die Schussapparate zur Vertreibung der Stare knallen, unterhalten wir uns über den Weinbau, die Bewässerung im Seewinkel und das Verhalten der Lacken. „Die bringen nichts“ sind Michael und sein Vater überzeugt, in Bezug auf die Schussapparate. Selbst benutzen sie Netze. Die sind zwar aufwendiger und in der Anschaffung teurer, dafür aber umso effektiver. Insgesamt rechnen sich die Netze mehr.
Michael ist studierter Vermesser und Weinbauer. Und eigentlich noch immer leidenschaftlicher Student, mit Immer-wieder-Anläufen zur Dissertation. Aber als Vollzeit-Winzer geht sich daneben halt wenig aus. Michael ist der Ansicht, dass die Stare den Winzern nichts wegnehmen wollen, eher umgekehrt: Die Pflanze will ja evolutionär bedingt gefressen werden und ihre Kerne verteilen, und die Stare brauchen die Kraftnahrung für den Winter. „Der Fehler im System sind ja eigentlich wir.“
Michael exportiert den meisten Wein ins Ausland. Den Export in das Vereinigte Königreich hat er interessanterweise mitten in der Pandemie nach dem Brexit geschafft. Auf einmal wollten die Briten burgenländischen Wein. Mit den Amerikanern macht er gache Parkplatz-Tastings, die sind relaxed, mit denen geht das.
Bei der Betriebsführung begegnen wir im Weinkeller erneut einem True-Crime-Fall. Als der Keller 1958 ausgehoben wurde, hat Michaels Oma ein Skelett ausgebuddelt. Der Fundbericht der Behörde hängt im Keller. Genaueres weiß man nicht.
Bei der anschließenden Verkostung erzählt Michael von den verschiedenen Lagen rund um Apetlon, die für die Apetloner anders heißen, als sie eigentlich heißen. „In Apetlon hat alles einen richtigen Namen, aber gesagt wird anders dazu.“
Wir sitzen ewig in Apetlon und verkosten hervorragende Weine. Es ist ein Tag voll herrlicher Überschneidungen. Nach den ersten vier Wochen meiner frischgrünen Sommertour habe ich das Gefühl, viele Schnipsel einzusammeln. Gerade zu Themen wie dem Neusiedler See, Grundwasser, Krankenhaus Gols, Renaturierung und Bio vs. konventionelle Landwirtschaft habe ich unterschiedliche Sichtweisen kennengelernt und gesammelt. Das Bild wird langsam klarer. Mal schauen, was wir daraus machen …