Tag 11: Viel Emotion und Leidenschaft

16. Juli 2024

Anjas frischgrüne Sommertour, Tag 11

 

Heute geht es im Bezirk Mattersburg zuerst nach Neudörfl und dann weiter nach Sigleß, quasi ein Heimspiel für mich als gebürtige Mattersburgerin. Aber wie ich bald feststellen werde, lohnt es sich, auch das Altbekannte immer wieder neu zu entdecken.

 

Station 1: Haus Sarah in Neudörfl

Frau Meric empfängt uns an der Rückseite des geschichtsträchtigen Gebäudes, in dem heute das Haus Sarah der Caritas Wien untergebracht ist. Ein weitläufiger Hof mit Gemüsegärtchen, Sitzbänken und einem Sandsack, der reglos an einem hochgewachsenenen Baum hängt. Wir werden von Mitarbeiter*innen begrüßt und begeben uns in den kühleren Aufenthaltsraum, wo Frau Meric beginnt, von den Problemen und Herausforderungen zu erzählen, die Flüchtlingsarbeit mit sich bringt. Die Gefasstheit und Resilienz in ihrer Stimme bildet einen beruhigenden Kontrast zu den Erlebnissen, die sie schildert.

Im Haus Sarah untergebracht sind Erwachsene und unbegleitete, mündige Minderjährige. Aus allen 5 Bezirkshauptmannschaften des Burgenlandes gebe es Zufluss, 47 Plätze für Erwachsene und 10 Plätze für Minderjährige stehen zur Verfügung, dazu 2 Krisenplätze.

Es ist ein täglicher Kampf ums Überleben. Finanzierungsprobleme und ein Grundversorgungstagsatz, der im Burgenland niedriger ausfällt als vorgesehen, stellt die Organisation vor zahlreiche Schwierigkeiten. Frau Meric erzählt von den Problemen der Jugendlichen. Oft hätten sie bereits mehrere Großquartiere durchlaufen, bevor sie im Haus Sarah aufgenommen werden. Dass sie dann nicht immer so gut drauf sind, sei irgendwo verständlich. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan und Somalia. Wenn es schlecht aussieht mit ihrem Asylverfahren, machen sie sich wieder auf den Weg und reisen weiter. Das Wort „reisen“ sorgt in diesem Zusammenhang für etwas Irritation. Diese jungen Menschen verlassen freiwillig ihren kleinen Hafen an Sicherheit, um sich erneut der Ungewissheit eines fremden Landes und einer fremden Kultur auszusetzen, im ständigen Kampf um neue Perspektiven. Als „Ankerkinder“ wurden sie von politischer Seite verunglimpft, völlig zu Unrecht. Für mich sind diese Jugendlichen Hoffnungsträger, die – auf sich allein gestellt – versuchen, in der Fremde Fuß zu fassen. Und das ist gar nicht so einfach. Das Konzept Schule etwa ist vielen unbekannt, noch nie haben sie ein Klassenzimmer betreten. Ihr gesamtes bisheriges Leben haben viele von ihnen auf der Flucht verbracht. Der Krieg hat sie entwurzelt und für ein neuerliches Wurzelschlagen braucht es Vertrauen. Und genau darum bemühen sich die Sozialarbeiter*innen im Haus Sarah, das Vertrauen zu gewinnen der zu einem großen Teil traumatisierten Jugendlichen und Erwachsenen. Auf einem selbgebastelten, etwas zerknüllten Würfel, der im Aufenthaltsraum von einem Wandrohr hängt, ist zu lesen: Ein Leben ohne Träume ist wie ein Garten ohne Blumen.

Anschließend führt uns Frau Meric durchs Haus. Sie zeigt uns einen Kühlschrank mit Essensspenden der umliegenden Supermärkte. In der Küche treffen wir auf eine Mitarbeiter*in, die gerade die Mittagsmahlzeit zubereitet: Chicken Nuggets, eine Lieblingsspeise der Jugendlichen, dazu würzigen Reis, wie sie ihn gern haben. Ähnlich wie Frau Meric wirkt auch diese Mitarbeiterin angenehm positiv. Sie bietet uns die letzten drei Stücke Kuchen an, die wir dankend ablehnen. Als wir durch die Gänge des Erwachsenentrakts gehen, wird mir die Schwere dieser Lebensumstände bewusst. Es ist hier nicht sauber, die Männer leben eigenverantwortlich und die Räumlichkeiten spiegeln das Drama ihrer Situation wider. Auf einem Wäscheständer trocknet eine dicke Jacke in der Sonne. Über einem verschmierten Waschbecken liegt eine leere Tube Haargel.

Als wir wieder in den Hof hinaustreten, bemerke ich einen Ball, der sich im Dachgitter verfangen hat. Er wird zur traurigen Metapher einer Kindheit, die ihres Spiels beraubt wurde. Wie gut, dass es Einrichtungen wie das Haus Sarah gibt, wo Menschen wie Frau Meric und ihre Mitarbeiter*innen tagtäglich daran arbeiten, mehr Leichtigkeit und Perspektive ins Leben dieser Jugendlichen zu bringen.

 

Station 2: Fischfarm Sigleß

In Sigleß treffen wir mit Gerald Hochwimmer auf einen weiteren Idealisten. Der studierte Veterinärmediziner hat sich ganz der Fischzucht verschrieben und ist Österreichs größter Produzent für europäischen Wels. Gerald ist ein guter Gastgeber, während seiner Präsentation bekommen wir gegrillten Wels serviert, genau das richtige bei diesen Temperaturen.

Man merkt ihm an, wie sehr er für das Thema brennt. Die Fischzucht betreibt er nicht etwa des Geldes wegen, für ihn ist sie pure Leidenschaft, die er nach eigenen Worten (er-)leben darf.  Wie wir erfahren, sind wir die erste Partei, die seiner Fischfarm einen Besuch abstattet, was mich persönlich sehr freut. Gerald züchtet sein 2004 europäischen und afrikanischen Wels und beschäftigt 5 Mitarbeiter im Vollerwerb. Pro Jahr werden in Sigleß 150 t produziert und 170 t verarbeitet. Die Direktvermarktung funktioniert gut, während die Großvermarktung etwas schwächelt. Nach dem Nose-to-tail-Prinzip werden in Geralds Fischfarm alle Teile des Fischs verwertet, Abfälle werden zu Fischmehl verarbeitet und die Fischköpfe als Hundefutter verkauft.

Super finde ich die zahlreichen Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die Gerald in seinem Betrieb installiert hat: eine Abwasserwärmerückgewinnungsanlage, mit der 40.000 bis 100.000 kWh pro Jahr gespart werden, Wärmepumpen im Bruthaus, Luftwärmetauscher, Photovoltaik, Transportlogistik mit E-Auto und eigener Hoftankstelle. Besonder zu kämpfen habe er mit den seit 2022 stark steigenden Produktionskosten für Fischfutter, Wasser, Sauerstoff etc. Beim Wasserleitungsverband gebe es außerdem keine Sonderverträge für Großabnehmer. Auch deshalb wird das Wasser in Geralds Betrieb recycled und für den Fisch wieder brauchbar gemacht.

Bei der Führung durch den Betrieb erfahren wir interessante Details zu den Fischen, zum Beispiel dass Kannibalismus weitervererbt wird. Besonders gut gefällt mir, als Gerald meint „Dir zu Ehren wollte ich (Fische) befruchten“, was so auch noch niemand zu mir gesagt hat. 🙂 Jedenfalls nehme ich einiges an Anregung für meine Arbeit im Landtag mit, um wichtigen Regionalproduzenten wie Gerald die nötige und verdiente Unterstützung zukommen zu lassen.

 

Station 3: Freibad Sigleß

Abschließend geht’s noch auf einen Sprung ins Sigleßer Freibad. Ich erinnere mich, hier haben wir damals unsere Maturafeier gehabt, auch schon wieder ein Zeiterl her. Hannahs Töchter leisten mir im Wasser Gesellschaft und zur Feier des Tages lasse ich mir einen Eiskaffee schmecken. Es war ein überaus intensiver Tag mit sehr vielen Eindrücken und Emotionen. Ein Tag, der Handlungsbedarf in vielen Bereichen aufgezeigt hat und den Einsatz der dort tätigen Menschen. Ich kann es kaum erwarten, meinen Teil dazu beizutragen.